Eskalierende Elternsysteme - So geben Eltern wieder Halt
Die Arbeit mit eskalierenden Elternsystemen in der Psychologischen Beratungsstelle Meppen
Die Meppener Beratungsstelle bietet Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung an. Das Team besteht aus zehn Beraterinnen und zwei Beratern mit verschiedenen Grundausbildungen und Weiterbildungen (u.a. Verhaltenstherapie, Paarberatung, systemische Beratung/Therapie, Familienberatung, Gewaltberatung, Mediation). In einem fortlaufenden Prozess entwickelt das Team die Arbeit mit eskalierenden Elternsystemen weiter.
Dabei sind eine gemeinsame Vorgehensweise, Haltung und Sprache entstanden. Über diesen Prozess, unsere Arbeitsweise und ein Zwischen-Fazit berichtet dieser Artikel. Wir nutzen dazu auch einen verfremdeten und anonymisierten Fall, um unsere Arbeit und dahinterstehende Ideen und Gedanken zu verdeutlichen.
Vorgeschichte des „Meppener Weges“
Etwa seit 2020/21 entwickelt das Team das Konzept der Beratung mit eskalierenden Elternsystemen für die Erziehungsberatung weiter.
In der Zeit davor arbeiteten wir selbstverständlich auch mit eskalierenden Elternsystemen und Eltern in Trennungs- und Konfliktsituationen. Dies lag jedoch auf den Schultern nur weniger Kolleginnen und Kollegen. Sie führten die Beratung mit viel Erfahrung durch, hatten aber keine spezielle Weiterbildung. Es gab auch kein Rahmenkonzept. Die Arbeit wurde zwar als spannend und herausfordernd, jedoch auch als mühsam und anstrengend erlebt. Die übrigen Teammitglieder assoziierten mit dieser Tätigkeit schnell ein mögliches Inkompetenz-Erleben, Verunsicherung und Überlastung. Fälle mit hocheskalierenden Elternsystemen wurden in Inter- und Supervisionen nur vereinzelt eingebracht. Es hatte sich ein „Spezialfeld“ entwickelt, das man lieber den Wenigen überließ.
Eine Fortbildung des Bistums Osnabrück ebnete den Weg für neue Ideen. Dort wurde von der Arbeit mit einem Berater*innen-Tandem im Mediationskontext berichtet. Deutlich wurde, dass diese Tätigkeit nicht belastend sein muss.
Dahingehend inspiriert machte sich eine Kollegin auf den Weg und ließ sich zur systemischen Mediatorin ausbilden. Die damalige Corona-Zeit nutzte das Team, um eine Inhouse-Weiterbildung durch diese Kollegin zu machen. Alle Beratenden lernten die verschiedenen Phasen der Mediation theoretisch und praktisch kennen. Im Kollegenkreis übten wir in Rollenspielen jede Phase, reflektierten unser Erleben in den verschiedenen Rollenpositionen und erarbeiteten mögliche Handlungsoptionen und ihre Wirkung. Dies allein schon war ein prägender und intensiver Prozess, bei dem sich das ganze Team gemeinsam auf den Weg begab.
In der Folge begannen nun alle Kolleg*innen in wechselnden Tandem-Konstellationen die Arbeit mit eskalierenden Elternsystemen.
Grundpfeiler des Meppener Weges
Wir führten im Verlauf der folgenden Jahre mehrere interne Fachtage durch, die wir teilweise durch externe Referentinnen begleiten ließen. Wir stellten uns den aufgeworfenen konzeptionellen Fragen, um das Mediationskonzept an unser Klientel sowie die Besonderheiten der Erziehungsberatung nach dem SGB VIII anzupassen.
Heutige, noch weiter in der Entwicklung und ständigen Reflexion befindliche Grundpfeiler unserer Arbeit sind:
- Die Beratenden arbeiten grundsätzlich im Tandem. Dabei ist eine Gegengeschlechtlichkeit nicht Voraussetzung (siehe dazu auch das Fallbeispiel unten).
- Es gibt wechselnde Tandem-Konstellationen und keine festen Berater*innen-Paarungen.
- Einzel-Vorgespräche mit jeweils einem Elternteil finden mit beiden Berater*innen statt.
- Gegebenenfalls vorhandene neue Partner*innen werden einbezogen, indem sie zum Vorgespräch mit eingeladen werden.
- Die Beratung ist für die Klient*innen freiwillig und kann jederzeit beendet werden.
- Kinder werden grundsätzlich mitgedacht, aber nicht in jedem Prozess in Präsenz beteiligt.
- Falls erforderlich besteht die Möglichkeit, während des Mediationsprozesses unabhängig von den gemeinsamen Sitzungen Einzelgespräche für die Elternteile anzubieten. Diese werden von anderen Berater*innen durchgeführt.
- Wichtig ist uns die Trennung von Paar- und Elternebene: Die Mediation bezieht sich nur auf Themen der gemeinsamen Elternschaft.
- Während der Mediation dürfen weder Anwälte noch Gericht zeitgleich hinsichtlich der zu besprechenden Themen tätig sein.
- Die inhaltliche Ausgestaltung der Mediation geschah in Anlehnung an die Konzepte von Krabbe & Thomsen (2017) sowie Fuest-Bellendorf (2021)
Anhand eines konkreten Fallbeispiels skizzieren wir nun den Ablauf einer Mediationsberatung.
Die Eltern D. – Von der Verletzung zur Kooperation
Die Eltern D. erhalten vom Jugendamt die dringende Empfehlung, sich zur Mediationsberatung anzumelden. Sie melden sich daraufhin beide in der Beratungsstelle.
Phase 1: Einführung
Die Eltern werden einzeln zu jeweils einem Vorgespräch eingeladen. Zu diesem Gespräch sind auch neue Partner*innen willkommen.
Frau D. hat zu diesem Zeitpunkt keinen neuen Partner, sie führt das Vorgespräch allein mit den Beraterinnen Frau S. und Frau H. Herr D. bringt seine Partnerin mit. Wie im Einladungsbrief angekündigt, sprechen die beiden Beraterinnen in der ersten Hälfte des Gesprächs allein mit ihm, für die zweite Hälfte bitten sie die Partnerin hinzu.
Für das Vorgespräch haben wir einen Leitfaden entwickelt, den wir mit den Beteiligten in einem maximal 90-minütigen Zeitrahmen durchgehen. In der ersten Hälfte befragen wir den jeweiligen Elternteil alleine, um zunächst offen und ohne mögliche Loyalitätskonflikte gegenüber einer*m neuen*m Partner*in über die Trennungsgeschichte, die Situation der Kinder, die Klärung des Unterhalts, die Beteiligung von Gerichten und/oder dem Jugendamt zu sprechen.
Im zweiten Teil des Gesprächs (ggf. gemeinsam mit dem*der neuen Partner*in) wird insbesondere über Ziele und Themen der Mediationsberatung gesprochen. Es wird geklärt, inwieweit es notwendig sein kann, getroffene Vereinbarungen noch einmal mit dem*der Partner*in oder anderen wichtigen Bezugspersonen rückzukoppeln.
Die Arbeit mit dem Patchwork-Familiensystem beruht auf der Erfahrung, dass neue Partner*innen in den Beratungen eine Stimme brauchen. Nicht selten verbringen auch sie Betreuungszeit mit den Kindern und sind z.B. von organisatorischen Regelungen unmittelbar betroffen.
Beobachtbar ist, dass dieser Einbezug Offenheit und Transparenz schafft, die im weiteren Prozess mögliche Nebenkampf-Schauplätze mit den neuen Partner*innen unnötig machen. Die folgenden Sitzungen werden i.d.R. nur mit den beiden strittigen Elternteilen geführt. Ziele der Vorgespräche sind:
- Klärung der Passung des Angebots
- Abklärung der Bereitschaft und Motivation der Eltern
- Ausloten, ob der Zeitpunkt im Trennungsgeschehen passend ist für die Aufnahme einer Mediationsberatung: Bei sehr frischen Trennungen kann der Grad der Distanzierung so gering sein, dass Eltern bei einem Zusammentreffen noch nicht handlungs- und absprachefähig sind. Hier ist jeweils eine Einzelfall-Entscheidung vonnöten.
- Reduzierung der Ängste und Befürchtungen der Eltern
- Verstehen der Trennungsgeschichte aus beiden Perspektiven: Dies dient dazu, dass die Berater*innen mögliche Fallstricke in der Mediation kennen und darauf besser reagieren können. Es dient ausdrücklich nicht dazu, diese Themen in die gemeinsamen Mediationssitzungen mit hineinzunehmen. Im Gegenteil: Wenn die Eltern jeweils ihre Geschichte erzählt haben, dann scheint es oft weniger notwendig, alte Verletzungen im Prozess wiederholt „auszubreiten“.
- Kennenlernen der aktuellen Lebenssituation und der beteiligten Personen
- Besprechung der organisatorischen Rahmenbedingungen (Terminabsage, Kalender-Mitführung zu den Terminen u.ä.)
Die Beraterinnen H. und S. sprechen bereits im Vorgespräch an, dass sie die Beratung mit zwei Frauen führen und fragen sowohl Kindsmutter als auch -vater, ob dies für sie vorstellbar sei. Herr D. äußert offen Skepsis und seine Bedenken, dass die männliche und Vater-Perspektive aus dem Blick geraten könnte. Jedoch allein die Thematisierung und die Möglichkeit, seine Sorgen anzusprechen, führen zu einer Entspannung. Am Ende des Vorgesprächs erklärt er seine Bereitschaft, es in dieser Konstellation zunächst einmal probieren zu wollen. Er habe sich in dem Vorgespräch ja gut verstanden gefühlt.
Die Beraterinnen bedanken sich für seine Offenheit und sagen einerseits zu, das Thema im Blick zu behalten. Andererseits fordern sie Herrn D. auf, zu signalisieren, wenn er das Gefühl hat, dass eine „Schieflage“ entsteht.
Unserer Erfahrung nach ist es in der Regel gut möglich, eine gleichgeschlechtliche Berater*innen-Konstellation zu wählen. Bei starken Bedenken eines Elternteils ist die Offenheit der Beratenden, diese Paarung noch einmal verändern zu können, bedeutsam.
Selbstredend gibt es auch Konstellationen, in denen eine gemischt-geschlechtliche Berater*innen-Paarung inhaltlich sinnvoller erscheint.
Dadurch, dass wir nicht in festen Berater*innen-Tandems arbeiten, können wir sehr flexibel verschiedene Konstellationen anbieten und auch bei möglichen Wechseln adäquat reagieren.
Phase 2: Themensammlung
Beide Eltern kommen zum ersten gemeinsamen Mediationsgespräch mit erheblichen Vorbehalten. Anschuldigungen und Unterstellungen werden geäußert, die Verletzungen sind deutlich spürbar. Herr D. hatte Frau D. kurz nach der Geburt des dritten Kindes verlassen und eine neue Partnerschaft begonnen. Die Eltern möchten zunächst insbesondere die Dauer der Übernachtungen der noch sehr kleinen Kinder (4 und 2 Jahre sowie 1 Jahr) klären.
Beraterin S. markiert und unterbindet freundlich und bestimmt die immer wieder geäußerten Unterstellungen. Die Eltern sollen erleben, dass hier ein geschützter Raum zur Verfügung steht, in dem Anschuldigungen und Vergangenes nicht besprochen werden. Die Mediation arbeitet ausschließlich zukunftsorientiert und auf Ebene der Eltern.
Um Eltern- und Paar-Ebene differenzieren zu können, setzen wir in den Gesprächen häufig eine veranschaulichende Darstellung ein (s. dazu Schaubild unten).
Die Eltern – noch misstrauisch, aber zur Klärung bereit – finden gemeinsame Themen und einigen sich als erstes darauf, die Papa- und Mama-Zeiten zu besprechen.
Wir sprechen nicht von „Umgang“, sondern von „Papa- und Mama-Zeiten“. Damit möchten wir die Gleichwertigkeit beider Elternteile unabhängig von der Menge der mit dem Kind verbrachten Zeit betonen. Anregungen dazu erhielten wir in der Auseinandersetzung mit dem Artikel von Alberstötter (2013).
Die „Übergaben“ nennen wir „Wechsel-Situationen“, um zu verdeutlichen, dass es hier um einen Prozess des Hinüberwechselns geht, und nicht um die Übergabe einer Ware.
Nachdem die Themen gesammelt wurden, ist eine Einigung der Eltern auf das zuerst zu besprechende Thema ein erster kleiner Erfolg in der Mediationsberatung. Die Verständigung über dieses Thema ist in aller Regel möglich – zumal mit dem Hinweis, dass im Anschluss weitere Themen nach derselben Struktur verhandelt werden.
Im Wesentlichen wird diese erste Einigung dadurch ermöglicht, dass den Eltern schon von Beginn an zugetraut wird, Minimal-Absprachen in der Kommunikation zu treffen. So entscheiden die Eltern und nicht die Beratenden bspw. wer anfängt, ein Thema vorzuschlagen. Meldet sich ein Elternteil zu Wort, wird zunächst rückgefragt, ob es für das andere Elternteil in Ordnung ist, dass der*die Andere beginnt.
Die Arbeit im Berater*innen-Tandem ermöglicht es, die verschiedenen Befindlichkeiten der Eltern gut im Blick zu haben und ggf. darauf aufmerksam zu machen.
Herr D. nimmt in den ersten Gesprächen einen großen Redeanteil ein. Das führt dazu, dass die Beraterinnen ihn bremsen, freundlich unterbrechen und dann Frau D. explizit das Wort geben. Das Zuhören und Abwarten Frau D.s wird von den Beraterinnen positiv hervorgehoben.
Phase 3: Bedürfnisse und Bedeutungen
Nach der Einigung auf das Thema „Klärung der Mama- und Papa-Zeiten“ ist die nächste Stufe der Mediation die Beschäftigung mit den Bedürfnissen und Bedeutungen, die hinter der Regelung dieses Themas stecken.
Die einleitende Frage dazu lautet etwa: „Angenommen, es gelänge Ihnen, für die Mama- und Papa-Zeiten gute Regelungen zu finden (wir wissen noch nicht, wie diese aussehen könnten), was würde das für Sie, Frau D. / Herr D., verändern?“
In drei Spalten sammeln die Beraterinnen auf der Flip-Chart die Bedeutungen für die Mutter, den Vater und die Kinder. Im Gegensatz zur Phase „Themensammlung“ wird in diesem Modul vertiefend und länger mit einer Person gearbeitet. Die andere Person hört zunächst zu. Die Bedeutungen für die Kinder erarbeiten beide Eltern als letztes und gemeinsam/wechselseitig.
Wir fragen einfühlsam immer weiter, bis herausgearbeitet wurde, welche tieferen Bedürfnisse hinter den Regelungen stehen. Dies ist bei Frau D. der Wunsch nach einer Entlastung und nach Sicherheit, die Kinder wirklich gut aufgehoben zu wissen. Zudem möchte sie eigene Regenerationszeiten nutzen und sich dadurch etwas freier fühlen. Herrn D.s Bedürfnisse sind, wieder mehr Zeit mit seinen Kindern zu haben und Sicherheit im Kontakt mit ihnen zu verspüren. Er hat das Gefühl, dann wieder mehr Papa sein zu können und seine Liebe zu den Kindern besser ausdrücken zu können.
Dieser Teil der Mediationsberatung ist das „Herzstück“ im Prozessablauf. Hier wird beraterisch-vertiefend gearbeitet. Die Beraterinnen fragen manchmal durchaus hartnäckig nach, was sich denn dadurch für die jeweilige Person ändern und wie sich das anfühlen würde.
Wir sind immer wieder erstaunt, wie sich in dieser Phase die Stimmung im Raum verändert. Das Zuhören wird auch für den nicht-beteiligten Elternteil möglich und Emotionen dürfen sein. Auch wenn es nicht offen thematisiert wird: Sogar strittige Personen nehmen für diesen Moment wahr, dass auf der anderen Seite auch ein Mensch mit Emotionen und Bedürfnissen sitzt. Beide erfahren zudem Wertschätzung und Gesehenwerden durch die Beratenden.
Natürlich ist wichtig, den Schutz der beiden im Konflikt stehenden Personen zu gewährleisten und die Emotionsfokussierung zu begrenzen. Dennoch sind eine Bewusstwerdung und ein Spüren der dahinterliegenden Bedeutungen unerlässlich, um tragfähige Vereinbarungen treffen zu können.
Phase 4: Optionen
Die nächste Phase sieht die Sammlung von Optionen vor. Herr und Frau D. werden eingeladen, ganz weit und völlig unverbindlich zu denken: „Wie könnten Regelungen zu Mama- und Papa-Zeiten aussehen? Was könnte theoretisch möglich sein? Was haben Sie vielleicht schon mal bei Bekannten gehört / erlebt?“
Diese Phase soll dazu dienen, aus dem Entweder-Oder-Denken auszusteigen und so die Entwicklung neuer Perspektiven zu ermöglichen, die für die folgende Phase der Angebotsverhandlungen notwendig sind.
Nach unserer Erfahrung fällt diese Phase den Eltern meist am schwersten. Sie befinden sich in einer vorsichtigen Haltung und haben Angst, sich etwas zu vergeben. Oft läuft die Optionen-Sammlung nur stockend ab.
Wir als Beratende bringen dann durchaus Ideen mit ein, wie es sein könnte. Wir fragen nach etwas, das vielleicht „ganz verrückt“ wäre oder nennen Lösungsmöglichkeiten, die in ähnlichen Fällen schon mal als gute Ideen geholfen haben.
Phase 5: Angebote
In der nun folgenden Phase macht Frau D. dem Kindsvater das Angebot, dass er die beiden älteren Kinder jedes zweite Wochenende für eine Nacht bei sich hat. Deutlich wird, dass Herrn D. dieses Angebot nicht weit genug geht, er möchte zwei Übernachtungen aller drei Kinder.
Nachdem Beraterin H. nochmals das Prinzip der Formulierungen von Angeboten (s.u.) erklärt hat, macht Herr D. das Gegenangebot, dass die älteren Kinder zwei Nächte bei ihm übernachten und das jüngste Samstag und Sonntag über Tag bei ihm ist.
Beraterin S. wirft ein, dass es zunächst einmal darum geht, zeitlich begrenzte Vereinbarungen zu treffen und keine in Stein gemeißelten, jahrelang gültigen Rahmenbedingungen festzulegen.
Frau D. bietet wiederum an, dass die älteren Kinder bis zum nächsten Beratungstermin zwei Nächte des Wochenendes beim Papa übernachten können, sie aber das jüngste Kind nur für den Samstag bringen möchte.
Herr D. erklärt sich damit einverstanden, betont aber, dass er dies für keine dauerhafte Lösung halte und ihm das nicht reiche.
Am Ende schauen Eltern und Beraterinnen noch einmal auf die gesammelten Bedürfnisse und Bedeutungen (aus Phase 3) unter der Frage: „Mit der getroffenen Regelung – haben Sie den Eindruck, dass die hier gesammelten Bedeutungen und Bedürfnisse berücksichtigt werden?“
Die Eltern werden angeleitet, konkrete Angebote an den jeweils anderen zu machen. Diese verhandeln sie kleinschrittig miteinander. Die Haltung, nicht zu fordern, sondern anzubieten, prägt diese Phase der Beratung.
Phase 6: Vereinbarungen
Die getroffenen Vereinbarungen werden durch uns verschriftlicht und an beide Eltern per Post versendet. Die Eltern sind aufgefordert, die Vereinbarungen beim nächsten Termin mitzubringen und sich (wenn sie möchten) die unterschriebenen Vereinbarungen gegenseitig zu überreichen.
Aus unserer Sicht führt dieses Procedere zu einer erhöhten Verbindlichkeit der getroffenen Absprachen.
Wir haben erlebt, dass Vereinbarungen häufig dann nicht gut eingehalten werden können, wenn die Ebene der Bedürfnisse und Bedeutungen nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Weiterer Prozess
Im weiteren Prozess kommt die Beratung der Eltern D. erheblich ins Stocken, weil bei der Umsetzung der Vereinbarungen immer wieder Probleme entstehen. Frau D. kann Herrn D. die noch kleinen Kinder kaum überlassen, ihre Verletzung über das Verlassen Werden wiegt noch sehr schwer, so dass sie ihre Ängste und ablehnenden Haltungen auch auf die Kinder projiziert. Diese wollten nach ihrer Wahrnehmung nicht zum Papa. Herr D. erlebt hingegen unbeschwerte Zeiten mit den Kindern und fürchtet eine Beeinflussung durch die Kindsmutter, die sich auf Dauer schädlich auf die Beziehung zu den Kindern auswirken könne.
Aufgrund der Hypothese der Beratenden, dass individuelle Themen unreflektiert in die Mediation hineinwirken und somit als Prozessbremse fungieren, wird beiden Eltern das Angebot von zusätzlichen Einzelgesprächen unterbreitet.
Herr D. nimmt das Angebot sofort an. Er besucht sehr offen und engagiert sechs Termine Einzelberatung bei einer unbeteiligten Beraterin, in denen er sich reflektiert und eine konstruktivere Haltung einnehmen kann. Etwas zeitverzögert nimmt auch Frau D. das Angebot der Einzelgespräche bei einer weiteren Beraterin an.
Im geschützten Raum der Einzelgespräche haben die Eltern eine Beraterin an der Seite und können eigene Themen (Schuldgefühle, biographische Themen) besprechen.
In der Mediationsberatung zeigt sich nach einer Weile, dass die Gespräche konstruktiver und mit größerem Vertrauensvorschuss an den anderen Elternteil und die Beratenden verlaufen.
Die Eltern D. verhandeln in 15 Mediationssitzungen viele Themen. Es gelingt ihnen, eine stabile Basis für ihre Kinder zu schaffen. Verletzungen und Ressentiments bleiben bestehen und führen noch immer zu Konflikten. Es ist jedoch Beiden möglich, dies zu reflektieren und wieder konstruktiv über Erziehungsthemen ins Gespräch zu gehen.
Nach Abschluss der Mediationsberatung erhält das Jugendamt eine kurze Information über die Beendigung der Maßnahme.
In jedem Fall, der vom Jugendamt an uns verwiesen wurde, erfolgt nach Beendigung oder auch bei Nicht-Zustande-Kommen der Beratung eine Rückmeldung an die zuständige Fachkraft des Jugendamtes. Inhaltlich machen wir keine Aussagen.
Die inhaltliche Neutralität gegenüber dem Jugendamt erachten wir als notwendig, um den Beratungsraum aufrecht erhalten zu können. Nur so besteht die Möglichkeit, dass die Eltern uns als von Jugendamt und Familiengericht unabhängig erleben.
Fazit
Die Weiterentwicklung der Beratung mit eskalierenden Elternsystemen hat in der Beratungsstelle verschiedene positive Auswirkungen. Diese erleben wir auf den Ebenen
- der Klient*innen,
- der einzelnen Beratenden,
- des Teams,
- des Beratungsprozesses und
- der Kooperation mit dem Jugendamt.
Auf diese Ebenen gehen wir im Folgenden ein.
Klient*innen – Halt, Sicherheit und Vertrauen
Das sehr strukturierte Setting sowie die einheitliche Ausrichtung beider Beratenden durch die Rahmenbedingungen haben einen stark haltenden Charakter. Die Struktur entzerrt die belastete Kommunikation, klare Rahmenbedingungen verhindern das Abgleiten in alte Verletzungs- und Beschuldigungsmuster.
Das ausgiebig besprochene und klar umrissene Setting gibt den Klient*innen Sicherheit und Orientierung in einer für sie hoch belastenden Beratungssituation. Diese ist zudem häufig von außen (Jugendamt, Gericht) vorgegeben, was den Druck auf das System noch erhöht.
Die Kleinschrittigkeit der Vereinbarungen begünstigt positive Erfahrungen, so dass mit Voranschreiten des Prozesses auch komplexere Themen behandelt werden können.
Das übergeordnete Ziel der Mediationsberatung ist, dass die Klient*innen wieder selbst in die Lage versetzt werden, Elternthemen miteinander zu klären. Dazu ist ein minimales Vertrauen ineinander Voraussetzung. Im Rahmen der Beratung haben die Eltern die Chance, wieder ein wenig Vertrauen (bezogen auf die Ausübung der Elternrolle) in das Gegenüber zu gewinnen.
Dafür spielt insbesondere die Phase der Bedeutungen und Bedürfnisse eine Rolle. Es werden Wertschätzung, Achtung und Respekt erfahren. Die zuhörende Position ermöglicht, auch beim Anderen wieder eine „menschliche Seite“ zu erleben. Durch das Zulassen und Erleben dieser anderen Perspektiven können Eltern im Idealfall die absolute Dichotomisierung (gut/böse) und die Wahrnehmungsverengung der Trennung ein wenig verlassen und eine Perspektiven-Erweiterung zulassen.
Berater*in – Kompetenz-Erleben und Halt Geben durch klare Strukturen
Die Berater*innen erleben durch die gemeinsame In-House-Schulung eine Sicherheit in den Abläufen, Kommunikationsstrukturen und Themen der Beratung. Auch sie haben Halt in der Struktur und im gemeinsam erarbeiteten Konzept. Dieses Gehalten Sein können sie in einer ruhigen, sicheren Beratungshaltung an die Ratsuchenden transportieren.
Die einzelnen Berater*innen haben ein erhöhtes, eigenes Kompetenzerleben in ihrem beraterischen Handeln einerseits sowie in der Tandem-Arbeit andererseits.
Durch die genannten Faktoren ist das Belastungserleben der Beratenden in diesem Hoch-Konflikt-Feld deutlich reduzierter.
Team – gemeinsame Sprache, Transparenz, Offenheit, Begrenzung der Verantwortung
Die ausschließliche Arbeit im Tandem, das gemeinschaftlich erarbeitete und getragene Konzept und die gemeinsame Sprache führen dazu, dass im Team eine höhere Sprach- und Reflexionsfähigkeit entstanden ist. Fälle werden oft in Intervisionen reflektiert, ein Expertentum gibt es nicht mehr. Dadurch ist ein außerordentliches Klima der gegenseitigen Unterstützung entstanden. Die Rollenspiele während der Fortbildungsphase führten zu einer Transparenz und Offenheit, die weiterhin in der gemeinsamen Arbeit erhalten geblieben ist und die Kooperation äußerst positiv prägt.
Die begleitenden Fachtage mit der gemeinschaftlichen Konzeptionsarbeit förderten den Team-Geist nachhaltig.
Die erarbeiteten Kriterien für die Aufnahme und das Beenden der Mediationsberatung geben Sicherheit im konkreten beraterischen Tun.
Die bewusste Entscheidung für eine gute zeitliche Struktur (90 Minuten Gespräch und 30 Minuten Vor-/Nachbereitungszeit) erleben wir als förderlich für den Beratungsprozess.
Bei der Reflexion der Tandem-Arbeit sind wir derzeit in einem Entwicklungsprozess, in dem wir uns u.a. Fragen stellen, welche Absprachen und Strukturen hier noch zusätzlich hilfreich sein könnten. Grundsätzlich erfahren wir die bewusste Reflexion der Beratungstätigkeit im Tandem als förderlich für den Beratungsprozess.
Wir vertreten eine klare, gemeinschaftlich getragene Haltung: Die Verantwortung für die Gestaltung des Beratungsraums liegt bei uns. Ob es den Eltern inhaltlich gelingt, tragfähige Vereinbarungen zu treffen, bleibt in der Verantwortung der Klient*innen. Wir sehen uns nicht als Anwalt des Kindes in dem Sinne, dass wir den Eltern, „gute Lösungen“ vorschlagen. Wir sehen uns vielmehr als Anwalt des Kindes, indem wir den Eltern durch das Angebot eines beraterischen Raumes, neue Wege der Kommunikation ebnen.
Dies alles führt in seiner Gesamtheit dazu, dass die Arbeit mit den hocheskalierenden Elternsystemen nicht mehr als Belastung, sondern als reizvolle Herausforderung gesehen wird. Es entwickelte sich eine nachhaltige Haltung der Motivation und des Kompetenzerlebens in unserem Tun.
Beratungsprozess – Abbruch als Teil des Gesamtprozesses
Selbstverständlich machen auch wir die Erfahrung, dass es immer wieder Fälle gibt, bei denen der Mediationsprozess vorzeitig endet, u.U. auch schon nach den Vorgesprächen. Nicht selten kommen diese Eltern nach einiger Zeit jedoch wieder in die Mediation. Ein Grund dafür könnte die Frage des bereits oben erwähnten richtigen Zeitpunktes sein, zu dem manche Themen erst klärbar werden.
In den Nachbesprechungen und in der Reflexion der Prozess-Ebene entwickeln wir zunehmend die Haltung, einen „Abbruch“ nicht als Scheitern, sondern als einen legitimen Schritt auf einem langen und beschwerlichen Weg einzuordnen. Die Mediationsberatung begreifen wir als ein mögliches Angebot. Es ist ein Setting im Kanon verschiedener Möglichkeiten des Elternhandelns, zu dem ebenso der Gang zum Anwalt oder vor Gericht gehören kann.
Kooperation mit dem Jugendamt – Vertrauensvolles Zusammenarbeiten
In der Zusammenarbeit mit den für Trennung und Scheidung zuständigen Kolleginnen des örtlichen Jugendamtes hat unsere klare und gut kommunizierte Konzeptarbeit am „Meppener Weg“ zu einer engen und vertrauensvollen Kooperationsbasis beigetragen. Ein regelmäßiger Austausch hat dazu geführt, dass die Kolleginnen den Ablauf sowie die dahinterliegenden Ideen kennen. Dies führt auch zu zielgerichteteren Zuweisungen seitens des Jugendamtes.
Zur Qualitätssicherung fand dieses Jahr erstmalig ein gemeinsames Treffen statt, bei dem verschiedene Fälle intervisorisch aus den beiden Perspektiven Erziehungsberatung und Jugendamt betrachtet wurden. Mit Freude und dem Gefühl, diesen Prozess sinnvoll und gewinnbringend weiterzuentwickeln, arbeitet das Team der Beratungsstelle Meppen fortlaufend an der Gestaltung des „Meppener Weges“ – damit Eltern wieder Halt geben können.
Literatur
ALBERSTÖTTER, U. (2013): Gewaltige Beziehungen. Verfügungsgewalt in eskalierten Elternkonflikten. In: M. WEBER, U. ALBERSTÖTTER & H. SCHILLING (Hrsg.): Beratung von Hochkonflikt-Familien. Weinheim: Beltz.
FUEST-BELLENDORF, A. (2021): Mediation hocheskalierender Elternsysteme. Vom Verlassen eisiger Höhen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
KRABBE, H. & THOMSEN, C.S. (2017): Familienmediation mit Kindern und Jugendlichen. Grundlagen. Methodik. Techniken. Köln: Bundesanzeiger.
TILLNER, W. (2017): Mediation hochstrittiger Paare. Seminarunterlagen zum gleichlautenden Seminar am 21.03.2017.
Autoren
Susanne Rademacher & Katja Schwerdt
Dieser Artikel erschien zuerst im Blickpunkt EFL-Beratung, 2023, Nr.52, und in den bke-Informationen für Erziehungsberatungsstellen, 2025, Nr. 1.
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